Meta-Möbel

Wettbewerb „Büro 2041“ - 1. Platz
Toni Felber + Jeremias Stock

Auslober: Designfunktion
Betreuer: Prof. Wolfgang Kreser
Hochschule RheinMain, Wiesbaden



> Seit 30 Jahren entwickelt der Münchner Einrichter designfunktion ganzheitliche Raumgestaltungen im Wohn- sowie Bürobereich. Zum Jubiläumsjahr 2011 blickt der Einrichter zurück und zeigt in einer Ausstellung das Büro der Vergangenheit. Dem gegenüber soll das Büro von heute zu sehen sein. Doch wie wird man im Jahr 2041 - also in 30 Jahren arbeiten? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen wurde der Design-Wettbewerb „Büro 2041“ ausgelobt. Am 14. Juli 2011 tagte in München eine 12-köpfige fachkundige Jury mit Vertretern aus unterschiedlichen Bereichen rund um das Thema Design.

Gefragt war:

Wie wird die Bürowelt im Jahr 2041 aussehen?
Wie wird sich das Thema Büro verändert haben?
Wie werden Menschen miteinander kommunizieren und arbeiten?
Wie kann man diesen Fragen nachhaltig und sinnvoll begegnen?

Jury:
Stefan Diez, Industriedesigner
Michael Englisch, Designmanagement Wilkhahn
Professor Jan Teunen, Cultural Capital Producer
Hanns-Peter Cohn, CEO Vitra
Alexander Scherer, Verwaltungspräsident
Barbara Friedrich, Chefredakteurin A&W
Meike Weber, Chefredakteurin DETAIL transfer
Dr. Wolfgang Schepers, Direktor Museum August Kestner, Hannover
Dieter Koppe, Vorsitzender Deutscher Werkbund Bayern
Hajo Eickhoff, Design-Philosoph
Samir Ayoub, Geschäftsführer designfunktion
Johanna Dumitru, Geschäftsführerin designfunktion

Film-Realisation:

Fuenfwerken Design AG

Unterstützt von:

vitra.

Raumwerkzeuge für den Umgang mit Informationen
im Jahr 2041


Unser Bürokonzept für das Jahr 2041 geht von einer selbstverständlichen Nutzung der Technologie einer praktikablen Datenbrille aus, die das Einspiegeln von visuellen Informationen in das Sichtfeld des Trägers ermöglicht. Dies macht nicht nur die meisten Monitore überflüssig, es schafft auch die Vorraussetzung für die Anreicherung der realen Umgebung mit zusätzlichen Hinweisen, Erklärungen und Meldungen, die sogenannte „Erweiterte Realität“ oder „Augmented Reality“. In Kombination mit Ortungssystem und RFID-Chips erlaubt es zudem digitalisierte Daten mit realen Objekten, Situationen oder Orten zu verknüpfen. Ungesteuert kann dies natürlich zu einer optischen Reizüberflutung ohnegleichen werden. Es ist also ein Aufmerksamkeitsdesign gefragt, das uns einen einigermaßen intuitiven Umgang mit dieser Technologie ermöglicht.

Bei der Beschäftigung mit dem Begriff der Arbeit, im Besonderen der Büroarbeit, fällt zunächst auf, daß die Kommunikation einen wesentlichen Anteil am Aufgabenspektrum hat. Unseren Ansatzpunkt für das Büro des Jahres 2041 haben wir jedoch aus einer anderen Beobachtung gewonnen: Die konkreten Tätigkeiten finden immer in Arbeitsebenen statt. Auf dem Bildschirm, an der Präsentationswand, beim Mittag- essen auf der Serviette oder, ganz klar, am Schreibtisch. Dieses Prinzip kann man auch in der besonderen Art erkennen, wie mancher die Papierstöße auf seiner Arbeitsfläche stapelt, gegeneinander verdreht, um den Überblick zu behalten. Die so strukturierten, äußerlich vielleicht sehr gleichförmig beschrifteten Unterlagen können so über ihre Lage und Gestalt (knittrig, sperrig, glatt, ...) im Raum und immer auch zum Mensch selbst lokalisiert werden: Altes liegt unten, nach diesem Ordner muss ich mich strecken, jener ist im untersten Regal...
Unsere „Raumwerkzeuge“ wirken sich atmosphärisch auf die grundlegende körperliche Raumwahrnehmung aus. Sie erzeugen Enge, Weite, verschiedene Distanzen und werden so in Ergänzung mit der Datenbrille informativ-raumbildend. Es sind Meta-Möbel, die zwischen virtuellem und realem Raum Verknüpfungen und Projektionsebenen herstellen. Der Benutzer verwendet die Raumwerkzeuge um sich in vielfältige Lagebeziehungen zur Informationsebene zu begeben. Die Möbel selbst bestehen aus einer lockeren, vielfältig nutzbaren Struktur, die eine Art „Ermöglichungsarchitektur“ darstellt. Erst die Ergänzung durch textile Hüllen aktiviert das Objekt. 3-Dimensionale Strickverfahren ermöglichen durch die Verwendung und Kombination reaktiver Materialien den Einsatz als aktivierbare raumbildende Meta-Materialien. Wenn es für das Textil keine Verwendung mehr gibt lässt sich ein Strick wieder komplett in seine Bestandteile, seine Fäden auflösen.
Bei der Gestaltung des Raumkonzepts haben wir Orte gesucht, die es ermöglichen die virtuellen Arbeitsflächen in der realen Büroumgebung über Projektionsflächen in räumlichen Beziehungen zu setzen. Es entstehen Situationen, die mich in die Materie körperlich eintauchen lassen, ihr geometrische Tiefe zugestehen. In einem intensiven Eins-zu-Eins-Gespräch wiederum geht es um die direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch. Hier sollten keine zusätzlichen Ebenen zwischen den Teilnehmern stehen. Diese sind vielmehr seitlich angeordnet, man spielt „mit offenen Karten“. Die klammerartige Struktur evoziert Verbundenheit nach innen und Abschirmung nach Außen. In der Bibliothek habe ich eine große Menge Informationen an denen mein Blick schweifen kann. Als adaptive Medien eingesetzte funktionelle Textilien stellen das Gesuchte gestalthaft dar und ermöglichen mir so eine instinktive Gewichtung. Der zentrale Projektraum, in Kombination mit dem Arbeitstisch fügt die gesammelten Informationen zusammen.
Arbeitsebenen - Meta Möbel
Hier werden Verknüpfungen geschaffen, der Projektablauf geplant, Zielvereinbarungen getroffen und dieses räumlich erlebbar dargestellt.


Wissensarbeit im Jahr 2041

Die starke Verdichtung in den wirtschaftlichen Ballungszentren des Jahres 2041 hat Raum zu einer so wertvollen Ressource gemacht, das die abgeschlossene Bürolandschaft der großen Firmengebäude von einst zu großen Teilen mit dem umgebenden Stadtraum verschmolzen ist.

Wer etwas auf sich hält manifestiert die Werte seiner Marke durch ein Head-Office, in dem der Kunde nicht nur die Firmenadresse oder Ansprechpartner findet, sondern darüber hinaus einen der Marke maßgeschneiderten Showroom. Diese raumgreifende Firmenidentität dient zugleich den Mitarbeitern als Ort der leiblichen Kommunikation und Mehrwertschöpfung. Hier trifft man sich um in Spezialisten-Teams zu arbeiten und zu netzwerken.

Archive, Konferenzzentren, Cafés und Bibliotheken findet der Wissensarbeiter im gewachsenen Stadtraum. Ebenso einen Einzelarbeitsplatz im abwechslungsreichen und inspirierenden Umfeld. Aus dem fast vollständig zerstörten Einzelhandel (Direktvermarktung hat die allgemeineren Zwischenhändler ausgeschaltet) haben sich inzwischen ganz neue Laden- und Galeriekonzepte mit speziellen Themen und Erlebniszentren (und dem Verkauf der dazu passenden Lifestyleprodukte) entwickelt. Große Firmen haben hier erlesene und situative Arbeitsplatzkontingente für ihre Angestellten und selbstständigen Projektmitarbeiter gebucht.
Sie bieten ein sinnliches Arbeitsumfeld mit der nötigen Infrastruktur und einem inspirierenden Mikrokosmos. Da Daten und Informationen längst überall verfügbar und viele technische Ausgabegeräte überflüssig geworden sind gilt es während der Büroarbeit die Aufmerksamkeit bewusst zu steuern. Dabei spielt nicht nur die Bedeutung des Ortes mit seiner Atmosphäre eine Rolle sondern im besonderen Maße die Fähigkeit die sprachlich und abstraktvisuell übersetzten (=gespeicherten) Informationen wieder handhabbar zu machen. Die Orientierung in der realen Umwelt ist eine mit dem ganzen Körper empfundene und ermöglicht ein instinktives Handeln, ganz ohne darüber nachzudenken. Das Virtuelle dagegen ist schlichtweg bodenlos und bietet den Sinnen des Menschen zunächst keine Angriffsflächen. Früher erfolgte die Wahrnehmung dieses „Raumes“ durch ein Fenster, also eine Projektionsfläche für das Auge: Allein (audio-)visuell wurde versucht die abstrahierte Information wieder gegenständlich zu machen.

Erst die ca. 2030 praktikabel gewordene Datenbrille konnte Informationen wieder direkt im geometrischen Raum verorten. Jetzt wurden nützliche Hinweise lage- und kontextabhängig bereitgestellt.

Schließlich ist eine neue Möbelgattung entstanden: Die sogenannten „Meta-Möbel“ oder „Raumwerkzeuge“ helfen die Informationssphäre mit der Raumumgebung des Menschen in Relation zu bringen, sie körperlich zu machen.


Aufmerksamkeitsdesign

ist für uns nicht allein die Frage eines ausgeklügelten audiovisuellen Interfaces sondern einer leiblichen, instinktiven Orientierung im Raum.
Think Tank - Büro2041
überlagern, schichten, verknüpfen





Projekttisch

Der Projekttisch stellt eine Struktur zur horizontalen Schichtung von Informationsebenen dar. So ergeben sich eine topografische Darstellung und Bearbeitungsmöglichkeiten von Wissen. Die Bespannung mit oberflächenverändernden Textilien und die lose Bestückung mit zweckmäßigen Funktionsebenen ergeben einen vielschichtigen Workflow am laufenden Projekt. Als zusätzliche „trigger Objects“ werden mit RFID-Chips markierte Objekte eingesetzt. Diese ermöglichen einen sinnlichen Umgang mit abstrakten Informationen. Jedes Ding kann ein Schlüssel zu Daten, Orten und Personen sein. Sie eignen sich auch besonders gut um auf dem Tisch, einem Spielfeld nicht unähnlich, Planungen durchzuführen und zu visualisieren.
Projekttisch - Meta Möbel
eintauchen





Raumschirm

Er ermöglicht eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem thematischen Inhalt, indem er ein Raumvolumen formuliert, das mit Wissen aufgefüllt wird.
Durch Drehung des textilen Schirms um seine horizontale Achse wird die Beschaffenheit des immersiven Erlebnisses verändert. Eine vertiefende Raummatrix, die relative gedankliche Lagebeziehungen wie Nähe, Ferne, Über und Unter darstellen kann, wird zur Imagination eines Horizonts - um damit den Fragestellungen auf Augenhöhe und aus verschiedenen Blickwinkeln begegnen zu können.
eintauchen - Meta Möbel
fokussieren





1zu1-Kommunikation

bedeutet vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Man steckt die Köpfe zusammen und gibt dem Gegenüber seine volle Aufmerksamkeit. Die Informationen sind für beide sichtbar, stehen aber keinesfalls zwischen ihnen. Die Unterhaltung entwickelt vielfältige Facetten, das Möbel hat für sie alle ein offenes Ohr.
Eine leichte Rahmenstruktur bietet die Möglichkeit eines intimen, nach Außen hin abgeschirmten Raums. Aber diese erhält sie erst durch die Aktivierung der offenen Struktur des akustisch wirksamen Funktionstextils. Die Anwesenheit der Gesprächspartner und die durch sie emittierte Körperwärme schließen die „Ohren“ dieser reaktiven Struktur.
eintauchen - Meta Möbel
stöbern





Stofflich erweiterte Information

Im Gegensatz zu Büchern sind digitale Informationen körperlich indifferent. Dennoch haben sie verschiedenes Gewicht, unterscheiden sich strukturell oder schlicht in ihrer Menge. Durch den Einsatz gestrickter textiler Strukturen wird dies darstellbar. Sie lockern ihre Maschen, werden lang und fallen schwer, ballen sich oder kräuseln ihre Oberfläche. Zusammen mit der visuellen Oberfläche der Datenbrille kann diese Bibliothek abstrakte Daten in spürbare Beziehung zum Recherchierenden bringen.
Bibliothek - Meta Möbel
verknüpfen





Situative Projektdarstellung

„(...)the simple fact is that humans are much more adept at dealing with visual/spatial clutter than mental clutter.“
(John Siracusa)

Der zentrale Projektort verknüpft die einzelnen Aspekte der Wissensarbeit miteinander. Eine offene Raumstruktur ermöglicht die Darstellung relativer Beziehungen der zusammengetragenen Daten zueinander. Durch Verschiebung und Verdrehung über die zentrale Achse entsteht mit Hilfe der raumbildenden Rahmen ein Koordinatensystem des gesamten Projekts. Hier bekommt Information Gestalt. Vergleichbar einer Sonnenuhr lässt sich der Projektverlauf über das kreisbildende Element spürbar darstellen. Durch Addition textiler Hüllen schirmt sich der Ort von der Büroumgebung ab und erhält durch sie zusätzliche haptische und reaktive Arbeitsebenen. Die vermeintlich überwältigende vielschichtige Darstellung der verschiedenen Arbeitsaspekte ermöglicht es dem Mitarbeiter seinen Verstand mit Analyse und Problemlösung und nicht mit Ablage und Strukturierung zu beschäftigen.



Koordinatensystem des Projekts
Nutzungsvarianten und räumliche Konfiguration >
Arbeitsebenen - Meta Möbel
Projekttisch - Meta Möbel